Was ist Kata?

Anmerkungen zur Deutschen Kata Meisterschaft und den Kodokankata

Jigoro Kano (28. Oktober 1860 – 4. Mai 1938), der Begründer des heutigen Judos, studierte in vielen alten Ryu (Kampfschulen) die technisch-geistigen Hintergründe der einzelnen Lehrsysteme mit ihren Schlag-, Tritt-, Wurf-, Halte-, Hebel- und Wiederbelebungstechniken. Durch die Kenntnis der ihnen zu Grunde liegenden Prinzipien und Lehrmethoden entwickelte er sein Lehr- und Erziehungssystem, das sogenannte „Kano’sche Jiu-Jitsu“. Er wählte Techniken aus, die seinen Vorstellungen und Erfahrungen nach am ehesten dem von ihm aufgestellten Prinzip des wirksamen Gebrauchs der körperlichen und geistigen Kräfte entsprachen. Kano vertrat durchaus nicht die Auffassung, dass Ju (= japanisch für „sanft“, „weich“, „geschmeidig“) das tragende Prinzip im Judo sei. Er kennzeichnete vielmehr die Idee vom Sei ryoku zen yo (= technisches Prinzip, mit dem bestmöglichen Einsatz von Geist und Körper) als das überragende und prägende Prinzip. Sein Bestreben war es, in seinem Lehrprogramm stets auf einen harmonischen Ausgleich innerhalb der einzelnen Übungen zu vermitteln.

Im Jahre 1882 gründete er als Ausbildungsstätte seinen Kodokan (= japanisch für „Halle zum Studium des Weges“) und stellte sein Judo, ein reformiertes Jiu-Jitsu, vor. Er arbeitete ausdauernd an der sozialen Ausprägung seines Judo, des neuen „Weges“ (do), in dem er den Grundsatz des Ji ta yu wa kyo ei  = moralisches Prinzip durch gegenseitige Hilfe zu beidseitigem Wohlergehen (soziale Ebene), zielstrebig ausbaute.

Was ist Kata ?

Im japanischen Alltagslebens bedeutet Kata heute noch so viel wie „grundlegende Form“, „Gestalt“, „Modell“, „zeremonielle Vorführung“ wie auch „Stil“. Sie berührt noch viele Bereiche des täglichen Lebens (z. B. die Schrift, die Architektur, die Teezeremonie, das Blumenstecken oder das Trommeln).

Die offiziellen Judokata des Kodokan werden in die sogenannten Randorikata (Freies Üben), no Kata und in die höheren bzw. theoretischen Kata eingeteilt. Randori no Kata sind Kata, deren Techniken sich mit dem modernen Wettkampf beschäftigen wie die Nage no Kata (Kata der Wurftechniken) und Katame no Kata (Kata der Bodentechniken). Die Ju no Kata (Kata der Geschmeidigkeit, auch Gymnastikkata genannt) und die Kodokan Goshin jitsu (Kata der modernen Selbstverteidigung) sind höhere Kata.


Bei einer Deutschen Kata Meisterschaft werden die Deutschen Meister in diesen vier Kodokan Kata ermittelt. In Deutschland kommen zu den Randori no Kata bei der Danprüfung (Judo- Meisterprüfung) zum 1. Dan und 2. Dan noch die Gonosen no Kata (Kata der Gegenwürfe) hinzu, die in der Waseda Universität entwickelt wurde. Als Alternative zu dieser Kata kann in einigen Landesverbänden die Kime no Kata (Kata der klassischen Form der Selbstverteidigung) zum 3. Dan gemacht werden. Sie ist keine Randori no Kata, sonder zählt schon zu den höheren Kata, wie die Kodokan Goshin jutsu oder Ju no Kata. Eine von beiden wird zum 4. Dan geprüft.

Die Itsutsu no Kata (Kata der 5 Symbole) und die Koshiki no Kata (Kata der antiken Verteidigung) sollen beide bei der Prüfung zum 5. Dan gekonnt sein.

Für die klassischen kriegerischen Künste in Japan war Kata („Üben nach Vereinbarung“) das Grundlagentraining. Es diente dazu, die Kraft der Übenden zu stärken und ihre Körper abzuhärten. Viele der gelehrten Techniken waren, bei nicht eingeübter Ausführung, tödlich.

Scheingefechte wurden zunächst in Form von Kata unterrichtet. Auf diese Weise konnten die Krieger ihr Kampfkunsttraining ohne größere Verletzungen ausüben. Katatraining bedeutete hier eifriges, hingebungsvolles Exerzieren, um den Bushi (Ritter) zur Reife in der Technik und zur geistigen Scharfsinnigkeit zu führen.



Auf diese Weise spielte Kata eine bedeutende Rolle bei der Vollendung des Gleichgewichtes zwischen körperlichen und geistigen Kräften. Der Schüler lernte in fast allen Ryu nur dadurch, indem er dem Beispiel des Meisters folgte. Der Lehrer erwartete von seinem Schüler, dass er, ohne zu fragen, Techniken und Bewegungsabläufe nachahmte. Durch hundertfaches Wiederholen verinnerlichte der Schüler das Gezeigte zum bedingten Reflex. Durch das Erreichen einer hohen technischen Perfektion war zwischen dem Erkennen (der Gefahr oder des Angriffs) und dem zweckmäßigen Handeln kein Hauch von Denken mehr (mu ga mu shin = kein Ich, kein Gedanke). Nur so ließ sich ein intuitives, absichtsloses, spontanes Handeln im Einklang mit der jeweiligen Situation verwirklichen. Aufgrund des gewonnenen Selbstvertrauens in das eigene Können konnte der Bushi einem unvermeidlichen Angriff gelassen abwartend, ungerührt und unempfindlich gegenüber äußeren Störungen, entgegensehen.



In Kata werden wichtige technische und geistige Prinzipien und Wirkungsweisen des Judo in Reinform unter idealisierten Verhaltensweisen dargestellt, erlebt und mit dem Körper begriffen, während Randori und Shiai (Wettkampf) versuchen, diese Prinzipien auch unter widrigen Umständen um- bzw. durchzusetzen.

Die Kodokankata erheben nicht den Anspruch, moderne Wurf- und Grifftechniken zu repräsentieren, wie sie sich vor allem in den letzten Jahrzehnten unter dem Einfluss der Wettkämpfe entwickelt haben. Vielmehr ist es die Aufgabe der Kata, Techniken in ihrer ursprünglichen Form zu bewahren.

Jede Kata hat ihren eigenen grundlegenden und repräsentativen Technikquerschnitt (Modellcharakter der Kata), die zum Teil selbstverteidigungsbezogene Situationen und deren Lösung durch Judotechniken wiederspiegelt. Tori (der Ausführende) und Uke (der Angreifer) stellen die Phasen und Prinzipien der einzelnen Techniken in flüssigem und dynamischem Bewegungsablauf fehlerfrei und ohne unnötigen Krafteinsatz dar. Dabei müssen sie auf ihre Haltung, Schrittbewegungen, den richtigen Handlungsabstand, die gute Raumaufteilung und Symmetrie ihrer Ausführung achten.

Die Etikette in Kata stellt keine übertriebenen, leeren Förmlichkeiten dar. Sie bereitet die richtige innere Einstellung vor. Erst Höflichkeit, Gelassenheit und ruhige Ausgeglichenheit erlauben die wichtige Harmonie in den technischen Details.



Kata ist Geben und Nehmen, ein wechselseitiges Zugeständnis. Die Vorführung von Kata dokumentiert den Abschluss eines relativ langen geistigen und technischen Ausbildungsweges, die körperlichen Anforderungen sind berechenbarer und geringer als bei denjenigen, die Randori und Shiai trainieren. Das Katatraining erlaubt es, Judo einen lang andauernden Zeitraum ohne übermäßige Ermüdung auszuüben. Kata stellt somit auch einen idealen Weg für gesundheitlich Beeinträchtigte oder ältere Judoka dar, ihre sportlichen Aktivitäten fortzusetzen.

Ernst Elenz

Quelle: Klaus Hanelt, Katabeauftragter des DJB Wiesbaden, Januar 2002